Es gibt so Wochenenden, die gehen viel zu schnell vorbei. Bildlich gesprochen ziehen sie vorbei, wie ein P-Boot unter Spi. Eines dieser Wochenenden war das Zurückliegende im Eisenbahner-Segel-Verein Kirchmöser 1928 e.V. mit der wohlklingenden Anschrift „Am Seegarten“.
So machte ich mich aus meiner seen-losen aber Elbe-nahen Bergartenstraße in Dresden auf den Weg in die geliebte Heimat – dem Havelland. Die aufgeregten Gespräche der jüngst eingestürzten Carolabrücke noch im Kopf herumschwirrend fuhr ich also ins ebenfalls brückenschöne Kirchmöser. Nun ja, was soll ich sagen? Abfahrt Wollin war nicht so erfolgreich, Vollsperrung und Umleitung aufgrund einer Brücke – das ging ja gut los und das auch noch mitten im brandenburgischen Kiefernwald, wo sich Hase oder doch eher Wildschwein und Igel gerade „Gute Nacht“ sagten. Aus Ankunft in 10 Minuten wurde dann Ankunft in 35 Minuten mit Umweg. Der freundliche Empfang durch Christian, der gerade Ausschau hielt, wer noch so ankommt, brachte wieder das Lächeln in mein Gesicht zurück. „Nee, du musst nicht hier hinten im Dunklen parken. Das war vielleicht früher mal so, fahr ruhig vor Richtung See – immer links halten.“ Und dann wurde klar, wieso es „Am Seegarten“ heißt. Ein Stellplatz schöner als der andere und alle mit Seeblick. Kleine Kerzen auf den Campingtischen oder dezente Lichter in den Fahrzeugen der mitangereisten 17 P-Boot-Besatzungen leuchteten mir einladend entgegen. Auch die Terrasse am Vereinshaus unten lauschigen Laubbäumen war schon gesellig gefüllt. So folgten noch weitere netten Begrüßungen und der Freitagabend war rundum gelungen. Schnell wurde klar, der ESVK kann Großveranstaltungen im Segelsport. Es hätten gern nochmal soviele Besatzungen anreisen können.
Nun aber zum seglerischen Teil am Samstag, obwohl gestattet sei, dass ich hier und da mal ein wenig abbiege, quasi um die Ecke segel, ich bin ja schließlich in Semlin aufgewachsen, wo man das gut lernt. Die kleinen Nebengeschichten geben einem Bericht erst die richtige Würze, wie ich finde. Der Wind war mit 3 Beaufort, maximal 4 optimal passend angesagt, zumindest für Jürgen und mich auf P 851. Auf ein gutes Frühstück folgte eine angenehme Eröffnung durch den Vorsitzenden in typisch brandenburgischer Manier – Fokus Geselligkeit, Essen (viel Fleisch) und Trinken (viel Bier). Letzteres wurde extra zum Bellini-Cup 2024 gebraut als Sonder-Edition. Herzlichen Dank für dieses besondere Geschenk! Vom Wettfahrtleiter erfuhren wir dann, dass Samstag drei und Sonntag eine Wettfahrt geplant sind. Das alles bitte möglichst zügig, denn Kaffee und Kuchen sowie Abendessen und Getränke warten schon auf alle.
Christian lotste die Crews dann noch schnell zum charakteristischen Schuppentor mit großer Revierkarte. Unsere Augen flogen über zahlreiche Windungen und Wirrungen mit teils wohlklingenden, teil skurrilen Namen der typischen Seen, seenarteigen Erweiterungen und Inseln mit all ihren landschaftlich schönen Buchten, Sandbänken und engen Durchfahrten. Ich sage nur „Großmutters Loch“ und mehr möchte ich dazu nicht ausführen. Wir wollen ja keine roten Ohren riskieren. Und mittendrin dann auch der schöne Breitlingsee – unser Regattagebiet. Einige hatten schon ihre Erfahrungen mit den havelländischen Besonderheiten gemacht und wollten Wichtiges beitragen. Christian hatte etwas Mühe, alle Wortmeldungen zu sortieren und als Belohnung erhielt dann jede Besatzung die versprochenen Bouletten aus dem Hause Höfer. „Brandenburch, ick liebe dir für deine Bodenständigkeit“. Herzlichen Dank an die Küchenfeen!
Zu meinen damaligen 420er- und Opti-Oldie-Zeiten ließen sie uns im ESVK nicht so weit hinaus und so freute ich mich sehr auf die etwas längere Anfahrt zum sagenumwobenen Breitlingsee. Jürgen verkündete dann sogleich: „Wir werden es heute mal ruhig angehen. Ich bin in diesem Jahr schon viele Regatten gesegelt und es lief recht gut. Das ist unsere erste und letzte Regatta in diesem Jahr zugleich. Lass uns das schöne Wetter genießen und Freude am Segeln haben.“ Wow! Das ist mal ein Auftakt. Gesagt, getan: Kopf in den Nacken und nicht ins Bierglas mit Bellini-Cup-Sonder-Editions-Bier geschaut, sondern in die wärmende Sonne. Also Sonnenbrille auf, Augen kurz genüsslich zu, Fock auf, Groß feingetrimmt und ab ging es zur imaginären Startlinie. Dann die übliche Frage. Welcher Kurs? „Japan“ würde Amalia sagen, die fröhliche mitangereiste Tochter von Rainer. Sie half am Wochenende auf dem Startboot mit und dufte die Flaggen hochziehen. Ich sagte zu Jürgen beim Blick auf den Zahlenwimpel 1: „Olympischer Kurs mit Zusatzdreieck.“ Er grinste freudig. Bei uns ist nämlich alte Schule – der Steuermann kann hervorragend segeln, macht den Kurs und auch sonst alles. Als Schottin mache ich nen bissl Gewichtstrimm, ziehe nen bissl die Fock, aber bedacht, ohne Strömungsabriss versteht sich. Keine wilde Hektik, kein Rumgerenne und kein lautes Knistern eines viel zu großen Spinnakers. So was haben wir auf der Renn nicht. Der Kahn rennt auch so. Am liebsten bei Windflaute auf Halbwind auf den langen schmalen von Großgrün abgedeckten Seen im Berliner Raum.
Nun zurück zum ersten Start auf dem Breitling: Wieder eine dieser üblichen Fragen: Links oder rechts raus? Michel hat noch gesagt, rechts ist meist besser, aber das wissen die anderen sicher auch und in den Abwinden der „jungen Wilden“ fährt es sich nicht gut. Und wer weiß, ob der Michel heute richtig getippt hat. Schließlich sitzt er nicht auf seiner schicken neuen O-Jolle, sondern auf dem Motorboot. Etwas Hektik an der Startlinie. Aber schon bald setzte sich eine Spitze aus etwa 6 Boote ab. Die üblichen Verdächtigen: P 1755 Gunnar und Stephan, P 1965 Jens und Jannik, P 1884 Albrecht und Sjörn, P 1733 Christan und Sascha (die Lokalmatadoren vom Breitlingsee) sowie Kristian und Rainer auf P 1970. Rainer vertrat den alteingesessenen Steffen an der Vorschot auf der „Renn hoch zwei“ mit gewohntem Steuermann Edi. Ich habe den Bootsnamen extra ausgeschrieben, da Mange2sail sich mit der hochgestellten Zwei gern verhaspelt. Eine Besatzung – Rex und Marino auf P 1130 kannte ich unter all´ den Altbekannten noch nicht. Wie sich dann im weiteren Verlauf der beiden Wettfahrtstage herausstellen sollte, fielen ihre Namen noch ziemlich oft, da sie wohl mit seglerischem Geschick agierten.
Jedoch soll gleich gesagt werden, dass der Bericht nicht aus dem vorderen Feld geschrieben wird, sondern aus dem hinteren und dann noch von einer Frau. Exotischer geht es wohl kaum? Und dann noch von einer, die 2024 leider viel zu selten zum P-Boot-Segeln gekommen ist und auch noch einen männlichen Spitznamen trägt. Verwunderung hier und da. Besonders bei Rex und Marino. Sie fuhren dann am Sonntag in der Startvorbereitungsphase oder anders gesagt in der „Wir-Warten-Auf-Wind-Phase“ einige Kreise um Jürgen, der während so einer Warterei gern ganz hinten auf Deck sitzt. Der Kahn schwimmt immerfort hoch hinaus. Marino schüttelte verwundet den Kopf, suchte Erklärungen. Eine könnte sein, dass Jürgen so gut wie nichts wiegt und ich mit ihm zusammen vermutlich so viel wiege wie ein üblicher Schotte auf einem P-Boot oder zumindest wie ein üblicher Schotte und ein halber Steuermann.
Jürgen kannte natürlich Rex und auch alles zum Boot, samt Namen der Vorbesitzer und Gewinne von Meisterschaften. Wenn das Boot mal bei ihm in der Werkstatt war, weiß er sogar noch welches Holz er für die Reparatur verwendet hat. Ja, bei uns auf der Renn (P 851) kannst´e was lernen, fast so viel wie bei der Maus.
Jürgen und ich schauten jedenfalls aus dem hinteren Feld zu, wie sich Spi-Kurs für Spi-Kurs die Spreu vom Weizen trennte. Sanduhren hier, Zwiebeln dort und immer wieder das ganze Rumgerenne bis das Boot zum völligen Stillstand kam. Es ist schön, sich das Gewühle mit etwas Abstand anschauen zu können. Auf der Kreuz war mal recht raus richtig, aber mitunter war auch links raus ganz gut. Auf jeden Fall war wir meist dann rechts, wenn es links besser lief und umgekehrt. Das übliche Spiel, die üblichen Fragen. Wer wissen will, was vorn bei den „Heißdüsen“ so alles Spannende passierte, fragt am besten die üblichen Verdächtigen oder schaut bei Manage2sail hinein.
Auf einen fulminanten Segeltag folgte eine fulminante Abendveranstaltung mit Liveband und vielen Tanzeinlagen. Auch hier waren die üblichen Verdächtigen ganz vorn mit dabei. Sonntagfrüh ging es nach einem leckeren Frühstück zeitig aufs Wasser zum Start um zehn Uhr. Anfänglich im Schlepp noch recht frisch und windig kam dann nach und nach die Sonne auf dem Breitlingsee und ließ den Wind etwas schwächer werden. Mutig wurde bei sehr leichtem Wind zur vierten und alles entscheidenden Wettfahrt gestartet. Am ersten Wendefass waren wir Vierter. Jürgen dann regungslos aber blitzwach in Lee, verschwunden zwischen Groß und Fock. Ich schleiche nach Luv, immer weiter, immer höher, denn Jürgen hatte seinen Lieblingsplatz gefunden. Der Seglerfuchs war hellwach und dass nicht nur dank Leistungsschlaf ab 21 Uhr in der lauschig weinrot gestrichenen Regattabüro-Laube auf seinem mitgebrachten Feldbett. Ein Meister der leichten Winde. Dann kam, was kommen musste. Die üblichen Verdächtigen zogen mit ihren knisternden Spinnakern an uns vorbei. Runde um Runde, zum Glück war die Wettfahrt verkürzt. Am Ende Platz 10, insgesamt Platz 15. Es folgt ein Wortspiel: 15ter auf dem 15zehner. Wir waren zufrieden. Ziel erreicht – zwei wunderschöne Segeltage verlebt.
An der Spitze des Feldes muss es auch am Sonntag ziemlich heiß hergegangen sein. Ein Blick in die Liste zeigte es dann auch: Alle drei ersten Crews punktgleich mit sechs Zählern. Viel enger kann es kaum sein. Nein, wir denken jetzt bitte nicht an „Großmutters Loch“.
Herzlichen Glückwunsch an Rex und Marino zum Doppel-Gewinn: Platz 1 in der A- und in der B-Wertung, letztere auch Classic-Wertung genannt. Somit sehen wir uns 2025 in Werder zum Bellin-Cup. Wieder geht´s ins geliebte Havelland – mich freut es sehr! Den zweiten Platz belegten Gunnar und Stephan und der dritte Platz ging an das Team „JJ“ – Jens und Jannik.
Herzlichen Dank auch für die besondere Ehrung der zwei Frauen im Regattafeld. Charlotte wollte nicht so recht nach vorn unter den Pavillon, da P 1334 am Wochenende vom Pechvogel verfolgt war. Wir waren in der zweiten Wettfahrt mit Wolfgang und Charlotte gleichauf als bei ihnen eine Wante riss. Wenn bei einem Gitarristen eine Saite reißt, heißt es meistens vorzeitiges Konzertende – bei Seglern heißt es leider vorzeitiges Ende des Regatta-Tages. Dank hilfsbereiter Mitsegler konnte alles so repariert werden, dass sie am Sonntag die vierte Wettfahrt noch segeln konnten.
Schade, dass es für einige P-Boot-Crews die letzte Regatta in diesem Jahr gewesen ist, aber besser hätte der Abschuss nicht sein können. Ein herzliches Dankeschön geht somit an den Kichmöseraner Wind- und Wettergott und natürlich ganz besonders an das tolle Team vom ESVK!
Ich verabschiede mich mit einem einfachen „Goode-Wind-Ahoi!“
Eure Theo (auch Stefanie genannt)
P.S. Nicht, dass der falsche Eindruck entstand, ich möchte gerne mal Spi bei den üblichen Verdächtigen fahren, da ich bisher nur die niedlichen aus 420er- und XY-Zeiten kenne. Rainer weiß bestimmt auch, wann ich Geburtstage habe, falls ihr mir einen Gutschein ausstellen möchtet. Meine Freude wäre riesig! Der Bericht ist eher eine Langstrecke als eine Bahnverkürzung geworden. Dafür gewähre ich einen seltenen Einblick in meine Sonntagskritzelei, denn Fotos kommen sicher noch einige.
Mensch, ganz toller Bericht und die Karikatur sehr schön.
Liebe Stefanie,
was für ein schöner Bericht. Danke.
Kleine Korrektur, damit du uns in Zukunft im Regattafeld findest. Unsere Segelnummer ist GER 1324. Auf bald.
LG
Wolfgang und Charlotte